Eröffnungsrede für die Ausstellung der Bildhauerarbeiten von MichaelKarlovski und Danyil Rovenchyn

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstfreunde, lieber Michael und lieber Danyil,
es ist mir eine große Freude, Sie heute zur Eröffnung dieser wie erwartet wundervollen Ausstellung begrüßen zu dürfen – einer Ausstellung, die zwei Künstler zusammenführt, die auf besondere Weise miteinander in Dialog treten:

Michael Karlovski und Danyil Rovenchyn


Beide stammen aus der Ukraine, beide haben sich der Bildhauerei verschrieben –
und doch stehen ihre Werke für unterschiedliche Erfahrungen, Ausdrucksweisen und beinahe auch für zwei Generationen der dramatischen Geschichte ihres Vaterlandes. Wir sehen Werke aus der Vorkriegszeit und der Gegenwart, deren grausame Realität uns täglich neu erschüttert.
Die Ausstellungskonzeption oblag einzig den Künstlern, das Galerieteam hielt sich dabei bewusst vollständig zurück. Es entstand eine eindrucksvolle Schau, die sich auf das konzentriert, was den Künstlern wichtig ist, die Plastiken.

Michael Karlovski
Michael Karlovski, 1968 im ukrainischen Mikolaew geboren, gehört seit vielen Jahren zur europäischen Bildhauerszene. Nach seinem Studium an der Kunstakademie Kiew führte ihn ein Aufbaustudium nach Halle an die Burg Giebichenstein. Hier lebt und arbeitet er seitdem mit Unterbrechungen in Berlin und Kiew als freischaffender Künstler. Seinen und Tatianas künstlerischen Werdegang in Deutschland haben Sie als geschätzte langjährige Gäste unserer Galerie seit vielen Jahren verfolgen können.
Sein Œuvre ist darüber hinaus reich an Ausstellungen im In- und Ausland – von Kiew über Leipzig bis nach Belgien – und seine Werke finden sich im öffentlichen Raum, etwa im „Rebecca“-Brunnen in Dresden, an den Fassaden in Mainz oder in Skulpturenensembles in Leipzig und der Ukraine.
Im Gegensatz zur antiken oder barocken „idealen Schönheit“ zeigt Karlovskis „Stehende“ eine eher zurückhaltende, realistische Körperlichkeit. Die Figur ist schlank, aber nicht überhöht oder übermäßig idealisiert. Das verleiht ihr einen menschlichen, fast introvertierten Charakter – ein schönes Beispiel für moderne Plastik unserer Zeit, die weniger auf Pracht, sondern mehr auf innere Haltung abzielt.
Die „Sitzende“ ist ein Beispiel für eine zeitgenössische humanistische Plastik, die in der Tradition der klassischen Moderne steht, jedoch durch Farbigkeit und expressive Reduktion eine aktuelle Lesart findet. Sie strahlt Ruhe, innere Sammlung und Würde aus, während die rot betonte Kleidung ihr eine markante Präsenz im Raum verleiht. Die sitzende Pose mit streng nach oben gerichtetem Gesicht und die geschlossene Form des Körpers geben der Figur einen meditativen, fast sakralen Charakter. Die Farbigkeit des roten Oberteils setzt einen deutlichen Akzent – Rot als Symbol von Lebenskraft, Leidenschaft oder auch Gefahr – kontrastiert mit der dunklen Basis.
Die Plastik „Setanta“ verbindet antike Ikonographie (Amazone) mit der Sprache der Moderne (Reduktion, Expressivität, Bruch mit idealisierter Form). Sie steht damit in einer Linie zwischen klassischer Mythentradition und existenzialistischer Bildhauerei des 20. Jahrhunderts, aktualisiert jedoch den Mythos in einer zeitgenössischen Lesart: Die Amazone erscheint nicht als dekoratives Motiv, sondern als Symbol weiblicher Autonomie, Stärke und Widerständigkeit. So erleben wir Karlovski erneut als einen Bildhauer, der Gegensätze auslotet: Schwere und Leichtigkeit, Formstrenge und Offenheit. Seine Plastiken zeigen zurückhaltend die Spuren des Bearbeitungsprozesses und sind zugleich von großer innerer Ruhe und Sensibilität. Sie sind Begegnungsräume, die Betrachterinnen und Betrachtern neue Perspektiven auf Raum, Material, Körperlichkeit und Inhalte
eröffnen.

Danyil Rovenchyn
Verwandt und daher vertraut – begegnet uns das Werk von Danyil Rovenchyn, geboren 1994 im ukrainischen Nischyn. Er gehört zur jungen nachsowjetischen Generation der ukrainischen Bildhauer, die bereits international auf sich aufmerksam macht.
Nach seinem Masterabschluss in Monumentaler Skulptur an der Nationalen Akademie der Schönen Künste und Architektur in Kiew im Jahr 2020 lebt und arbeitet er heute in Deutschland. Seine künstlerische Sprache reicht von Plastiken und Skulpturen über Rauminstallationen bis zu monumentalen Arbeiten für den öffentlichen Raum.
Seine Ausstellungen führen uns weit: nach München, Warschau, Kiew, Tallinn, Shanghai und viele weitere Orte. In Projekten wie „Byzantine Nostalgia“ in Warschau vom vergangenen Jahr, in dem kulturelle Parallelen der Ukraine und Polens diskutiert wurden, oder „Räume. Grenzen. Grenzen“ (gemeint sind innere und äußere Grenzen bei den aktuellen Verteidigungskämpfen) behandelt er Themen, die zutiefst zeitgenössisch sind: Identität, Migration, die Fragilität von Räumen und die Sehnsucht nach Beständigkeit in einer bewegten Welt.
Rovenchyns Arbeiten zeigen eine starke Sensibilität in Form und Ausdruck aber auch für die Raumwirkung. Er denkt Skulptur nicht nur als bloßes Objekt, sondern als Situation, als Gesamterfahrung, in der der Mensch zum aktiven Teil wird. Die Kunstwerke „Cells. The Lost“ von Danyil Rovenchyn sind eindrucksvolle Objekte, welche sich mit dem Thema der menschlichen Existenz und ihrer Vergänglichkeit auseinanderzusetzen scheinen. Die Arbeiten bestehen aus transparenten Epoxidharzkörpern, die jeweils eine menschliche Figur ähnlich wissenschaftlichen Präparaten in einer Art Kapsel enthalten. Das verleiht den Werken sowohl eine wissenschaftliche und zugleich eine metaphysische Dimension. Die Figuren in den Behältern sind in einer Haltung eingefroren, die sowohl Verletzlichkeit als auch Isolation ausdrückt. Die Verwendung von transparentem Material verstärkt den
Eindruck der Fragilität und der Zerbrechlichkeit des menschlichen Körpers. Durch diese Darstellung wird der Betrachter eingeladen, über die Begrenztheit des menschlichen Lebens und die Suche nach Bedeutung und über Identität nachzudenken.
Die beiden ausgestellten Torsi knüpfen an die Tradition der klassischen Körperdarstellung an, brechen diese aber durch Fragmentierung und expressive Übersteigerung auf. Sie stehen damit in einer Linie von der Antike über die Moderne (Lehmbruck, Moore) bis zur zeitgenössischen Bildhauerei. Inhaltlich sprechen sie nicht von Individuen, sondern von universellen menschlichen Zuständen – Leiden, Widerstand, Transformation.
Beachten Sie unbedingt die beiden übergroßen stehenden Akte „You and me“ aus dem Jahr 2022 im Galeriegarten. Die ausgestellten Arbeiten werden in Kunststoff präsentiert und können in Bronze erworben werden. Beide Plastiken sind proportional sehr naturgetreu, mit klar ausgearbeiteten Details der Körperanatomie. Sie wirken glattpoliert und haben durch das dunkle Material eine fast monochrome und somit eine wunderschöne Ausstrahlung. Die Figuren lesen sich für mich wie „Adam und Eva“, jedoch nicht als mythisches Urpaar, sondern als „nackte Menschen“ in einer Welt voller Zwänge und Ausweglosigkeiten. Ihre Starrheit könnte eine Metapher für das Eingeschlossen sein im System sein, ihr Ernst für die Würde, die sich der Mensch dennoch bewahrt.
Das ausgestellte Werk von Danyjl Rovenchyn lädt dazu ein, über die Bedeutung von Leben, Tod und Erinnerung nachzudenken und stellt die Frage, was von uns bleibt, wenn wir nicht mehr sind. Es fordert den Betrachter heraus, sich mit der eigenen Vergänglichkeit auseinanderzusetzen und über die Spuren nachzudenken, die wir hinterlassen. Wir dürfen gespannt auf das folgende Schaffen dieses begeisternden jungen Bildhauers sein, der heute am Anfang einer vielversprechenden Entwicklung steht.

Der Dialog
Diese Ausstellung ist damit nicht nur eine Begegnung zweier Künstler, sondern auch zweier eng aufeinander folgender Generationen:
Hier Michael Karlovski, der Erfahrene, dessen Werk von Klarheit und handwerklicher Tiefe geprägt ist; dort Danyil Rovenchyn, der jüngere Bildhauer, der neue Materialien, Installationen und weitere internationale Perspektiven einbringt. Gemeinsam spannen sie ein Feld auf, das Tradition und Gegenwart, Erfahrung und Aufbruch, Verwurzelung und Offenheit miteinander verbindet. Wir sind sicher, unser Freund Horst Brühmann wäre so begeistert, wie wir es heute sind.

Liebe Gäste, ich lade Sie ein, durch die Ausstellung zu gehen, die Werke beider Künstler zu betrachten und in den Dialog einzutreten – mit den Plastiken, mit den Räumen und vielleicht auch den Künstlern selbst, die heute und zum Galeriegespräch auch ihre Fragen beantworten werden. Lieber Michael, lieber Danyjl– im Namen aller hier Anwesenden danke ich Euch für die Kraft, die Sensibilität und die großzügige Offenheit, mit der Ihr uns an Eurer Kunst teilhaben lasst. Ihr bietet ein eindrucksvolles Beispiel für integrative Arbeit und bereichert zugleich unsere Kulturlandschaft und die ukrainische Kunst. Mit den Wünschen und der Hoffnung auf einen baldigen gerechten Frieden in der Ukraine und damit auch in Europa erkläre ich die Ausstellung für eröffnet und wünsche Ihnen allen einen inspirierenden Nachmittag voller Eindrücke und Begegnungen.

Vielen Dank.

Thomas Zaglmaier, 30.08.2025