Thomas Zaglmaier, Rede zur Ausstellungseröffnung „Rudolf Horn – Zum 95. Geburtstag“

Wikipedia: „Rudolf Horn (* 24. Juni 1929 in Waldheim) ist ein ehemaliger Möbeldesigner der DDR und Professor für Design.“

Das Rudolf Horn sich seit seiner Jugend immer auch mit dem Malen und dem Zeichnen auseinandersetzt, steht nicht in den einschlägigen Lexika – sollte es aber, denn weitestgehend zurückgezogen führte er seine Leidenschaft zweifellos zur Meisterschaft. Wir haben heute die Freude und Ehre bereits die dritte Ausstellung seiner Werke in unserer Galerie eröffnen zu dürfen. So wie bei jeder guten Präsentation atmen die Räume im Farbenklang der Bilder, dieses Mal besonders ausgewogen – mal fröhlich, mal zurückhaltend – aber immer mit respektvoller Kraft im Detail und in der Fläche. Wir erleben heute und hier nicht die geschickten Bildwerke eines Architekten, dessen wirkliches Produkt das Bauwerk, das Gestaltungsobjekt sein wird. Wir erleben das wunderbare Werk eines Künstlers, der malt, um zu malen und zeichnet, um zu zeichnen, der offenlegt, was er empfindet. Rudolf Horn zeigt uns seine Stillleben, Landschaften und Porträts. Die Bilder sind sehr persönlich und wir spüren die Liebe und den bitteren Schmerz, welche ihn im Leben begleiten.

Rudolf Horn | Selbstporträt (Malerei, 1951)

Auf der Einladungskarte und den Plakaten finden wir ein sehr frühes Selbstporträt Rudolf Horns aus dem Jahr 1951, welches für diese Ausstellung zwar nicht zur Verfügung gestellt werden konnte, aber aus unserer Sicht unverzichtbar ist. Was für ein Bild! Selbstbewusst und kernig, die Tabakpfeife im Mund und die Mütze verwegen, sieht uns der gerade mal 22-jährige Tischler Rudolf direkt in die Augen, um offensichtlich zu sagen; „Na, komm‘ doch Leben. Dich werde ich nutzen!“. Dabei hätte der 15-jährige Junge, ein schon langfristig als Kanonenfutter ausgebildeter Kindersoldat, schon sein Leben für Deutschland und den „Endsieg“ opfern sollen. Es folgten kurze amerikanische Gefangenschaft, Flucht, Versteck und endlich Kriegsende, dann verbleibende Jugend im sowjetischen Sektor – später fast jedes Jahr ein Selbstporträt, eingebettet in die Gefühlswelt des Künstlers, getragen von der sich entwickelten gesellschaftlichen Situation.

Nach der Betrachtung von Familienfotos schrieb Christiane Jung: „In dem Album, von seiner Mutter für ihn angelegt, nehme ich teil an Rudolfs Leben, sehe den aufwändig drapierten Kinderwagen mit dem einige Tage alten Sohn, das bürgerliche Milieu. Rudolf beim Bau einer Schneehütte, im Kreis der Familie, mal mit einer Katze auf dem Arm, mal mit einem Hund. Ich sehe den heranwachsenden Teenager, in der freien Natur immer mit einer Staffelei unterwegs, und schließlich den jungen Mann auf dem Hochzeitsbild mit Gertraude. Es ist ein schönes junges Paar, glücklich in der Gewissheit, das ganze Leben noch vor sich zu haben.“

Drei Töchter bekam das Paar. Christiane Jung schreibt zum ausgestellten Porträt: „Rudolfs Frau Gertraude im Jahr ihres Todes, mit ernsten Augen, als wisse sie etwas, was Rudolf übersieht, als ahne sie eine Zukunft, mit der nicht zu hadern ist, weil es keinen Sinn machen würde, weil diese Sinnsuche dazu sich ihr bereits zu Lebzeiten entzieht, sich auf dem Bild längst entzogen zu haben scheint. Es ist das einzige mir erinnerliche Porträt, in dem sein Modell deutlich in eine andere Richtung sieht.

Rudolf Horn | Gertraude (73 x 58 cm, Ölfarbe auf Faserplatte, 2000)

Gertraude blickt fast entrückt in eine für den Betrachter nicht sichtbare geheimnisvolle Ferne. Vielleicht weiß sie sogar, dass es Rudolf niemals möglich sein wird, das zu sehen, was sie selbst erkannt zu haben glaubt. Sie wird keinen Streit darüber führen. In ihrem Gesicht liegt etwas wie Entschlossenheit.

Oder ist es ein Zug von Resignation, von Einsamkeit oder gar eine Mischung aus beidem?

Das Bild ist von unaufdringlicher Helligkeit geflutet, ein leises Bild von großem Ausdruck, auf welchem Rudolf wieder die Hände betont, indem er sie hell unterlegt. Gertraude trägt dezent gewählten Schmuck. Die Bedeutung des Bildes sehe ich vor allem in ihren Augen und den Händen. Enthusiasmus und Leidenschaft für die Arbeit werden manchmal zum Problem für den Partner, es wird eingefordert, ohne groß darüber nachzudenken. Vielleicht leidet Gertraude unter dem häufigen Alleinsein, welches sie jedoch unter Rücksicht auf Rudolfs gestalterische und künstlerische Arbeit fast klaglos erduldet, welches auch die Töchter nicht kompensieren können, weil es natürlich gar nicht ihre Aufgabe wäre. Es ist, als würde mir diese Frau gerade wegen ihres abgewandten Blickes etwas anvertrauen. Ein bewegendes Bild, auch wenn ich Gertraude nie persönlich begegnet bin.“

Rudolf Horn porträtierte seine Mutter 1995 im Alter von 90 Jahren. Im Hintergrund der Rathausturm der von ihr geliebten Heimatstadt Waldheim. Mutter Helene verlor früh ihren Mann. Sie erlebte den wirtschaftlichen Niedergang der 1920er Jahre sehr persönlich mit dem Verlust des Kolonialwarengeschäftes in der Waldheimer Schlossstraße. Zum Porträt der Mutter schreibt Christiane Jung u. a.:
„Helene, eine schöne alte Frau mit Augen, als stehe das Leben in voller Blüte. Mir fällt die wunderbare Zeichnung der Hände auf, die keineswegs müde sind. Sie ruhen hier in dem Bild und sind doch, sobald ihnen auf diese Weise Gewicht verliehen wird, immer ein Symbol für das Tätigsein, für Gesten, für Berührungen. Im höheren Alter findet Helene eine späte Liebe, es ist der Maler Paul Busch.“

Rudolf Horn | Meine Mutter (68 x 59 cm, Ölfarbe auf Faserplatte, 1995)

Rudolf wächst zunächst im Haushalt seiner Mutter und Großmutter trotz der herrschenden gesellschaftlichen Umstände weitestgehend geborgen auf. Mutter Helene richtet Rudolf einen kleinen Raum im Dachboden als Atelier her. Nach Kriegsende empfiehlt sie ihm sich beim sowjetischen Dolmetscher in Waldheim und Sekretär der Stadtverwaltung Alexander Neroslow, der eigentlich Künstler war, vorzustellen. Das „Gekritzel“ ihres Jungen sollte sich mal jemand anschauen. Was dann geschah war ein Glücksfall. Der lebenserfahrene Neroslow, der u. a. mit Künstlern wie Hans Grundig und Otto Dix bekannt war, betrachtete die Arbeiten der zusammengestellten Mappe wohlwollend, aufmerksam und kritisch, als er die alles weiterbewegende Frage stellte: „Für wen machst Du das?“. Die damalige Antwort Rudolfs ist nicht entscheidend – entscheidend ist, dass es die Frage wurde, die Rudolf Horn stets begleitete. „Für wen machst Du das?“ wurde die Frage beim Lernen und Lehren, beim Entwerfen, Zeichnen und Malen. „Für wen machst Du das?“ wurde die Frage für Rudolfs Leben.

Christiane Jung stellte mir Rudolf Horn 2013 schmunzelnd anlässlich ihrer ersten Personalausstellung bei uns als ihren neuen Manager vor. 2015 malte er sie mit Brosche in Ölfarbe auf Faserplatte. Gelegentliche gegenseitige Besuche fördern seither unsere Freundschaft und ich darf sagen, dass Christiane nicht nur eine bemerkenswerte Künstlerin, sonderen auch eine hervorragende Suppenköchin ist. Genauso wie Christiane auf ihrem Porträt freundlich und offen mit dem Blick des jung gebliebenen Malers dargestellt wurde, haben meine Frau Annett, mein Sohn Martin und ich sie oft erleben dürfen. Martin las seine Gedichte vor. Wir haben gemeinsam diskutiert, gelacht und auch geweint.

Mit den drei hier erwähnten und in der Ausstellung präsentierten Porträts zeigt uns Rudolf Horn, wie er sagt, drei seiner wichtigen Frauen.

Rudolf Horn | Christiane mit Brosche (80 x 60 cm, Ölfarbe auf Faserplatte, 2015)

Die Ausstellung zeigt die Arbeit in zwei Dimensionen eines Meisters, der sich als solcher in mindestens drei Dimensionen ausgewiesen hat. Die räumliche Erfahrung des Formgestalters kommt dem bildenden Künstler entgegen. Man spürt den Raum in der Landschaft und will den Blumenstrauß greifen. Farben, Licht und Stofflichkeit tragen dazu bei. Die Bilder sind durchkomponiert und spannungsreich – sie sind zeitgenössisch, hochmodern und orientieren sich dabei durchaus am Bewährtem. Nicht selten befasst sich der Künstler mit einem Motiv mehrfach. Er schafft Varianten, in dem er Formen reduziert und kompositorisch modifiziert. Es bleibt stets spannend bei der Suche nach den Umsetzungen. So ist es für Rudolf Horn unverzichtbar auf ein fundiertes Grundlagenstudium, wie es z. B. in Halle durch Lothar Zitzmann gelehrt wurde, aufzubauen. Er legt es jungen Menschen immer wieder ans Herz, sich sowohl mit Gestaltungslehre, die auf uns überkommenen Techniken und sich auch mit der Kunstgeschichte auseinanderzusetzen. Für den heutigen Nachmittag wünsche ich Ihnen, liebe Gäste, noch viel Freude am folgenden Redebeitrag von Dr. Walter Scheiffele, einen angenehmen Aufenthalt und Rundgang durch die Ausstellung sowie angenehme Gespräche. Versprechen kann ich ihnen bereits jetzt ein hochinteressantes Galeriegespräch mit Rudolf Horn am 27. Juli in der Galerie. Bringen Sie die Jugend mit zu uns, wenn Zeitzeuge Rudolf Horn aus seinem Leben sprechen wird.

Liebe Christiane, vielen Dank für deine Unterstützung bei der Ausstellungsvorbereitung. Lieber Rudolf, ich gratuliere dir nun endlich und von ganzem Herzen auch im Namen meiner Familie noch einmal sehr herzlich zu deinem 95. Geburtstag. Bleib‘ wie du bist!