Dr. Walter Scheiffele während seines Vortrages für Rudolf Horn
Rudolf Horn im Kreis der Gäste der Vernissage
Walter Scheiffele
Der lange Weg zurück in die Moderne
Mit wieviel Schwierigkeiten war zu kämpfen, bevor ein Rudolf Horn, auch ein Clauss Dietel in der DDR den eigenen Weg zurück in die Moderne suchen und gehen konnte? Eine Fotografie zeigt uns, wie Walter Ulbricht auf der Möbelmesse sich prüfend tief bückt hinunter zur spiegelglatten Tischplatte, während dem besorgten Rudolf Horn daneben Argumente durch den Kopf gehen, mit denen er dem Ministerpräsidenten begegnen kann.
Denn wo Walter Ulbricht als traditionell gelernter Tischler festhielt an allen Profilen klassischer Möbelkunst, da wurde für ihn alles was diese Traditionen abschüttelte, zur Platte, zur verachtenswerten Platte.
Aber die Platte und das System: Das war der Weg der industrialisierten Produktion. Das hatte auch Hans Gugelot an der Hochschule für Gestaltung in Ulm erkannt, und er hatte die ersten Montagemöbel präsentieren können – freilich zu einem Preis, der für viele nicht erschwinglich war.
Und als in der DDR, freigeräumt durch Chrustschow in Moskau, die industrialisierte Form in die Architektur zurückkehrte, da konnte auch ein Wilfried Stallknecht den Typenbau mit seinen ersten Plattenbauten in Berlin-Fennpfuhl auf den Weg bringen. Und das waren Typenbauten, die nach Typenmöbeln verlangten!
Woher kam es, dass die Hoffnung auf eine schnelle Wiederbelebung des Bauhauses, das ja mit Weimar und Dessau seinen Standort in der DDR hatte, scheiterte? Welche Rolle hatten da die Ereignisse in der Sowjetunion gespielt?
Damals als Anfang der 1930er Jahre unter dem Diktat Stalins die Konstruktivisten um Ginzburg und die Wesnins gestoppt wurden, und als stattdessen die Moskauer Architekten antike Architekturen in Italien studierten und deren Formelemente zurückbrachten nach Moskau?
Weder in Moskau noch in Berlin wurde die verschüttete Moderne der Wchutemas und der Bauhäusler jedoch ganz vergessen. Und ausgerechnet in Moskau, und ausgerechnet in der Zeitschrift „Dekorative Kunst“ hatte ein Leonid Pazitnov 1962 mit seinem Artikel über das schöpferische Erbe des Bauhauses dieses Erbe der Moderne wieder ins rechte Licht gerückt. Ein Jahr später eröffnete das „Institut für angewandte Kunst“ in Berlin, inzwischen unter Leitung von Martin Kelm, mit Pazitnovs Schrift eine neue Debatte um die Bauhausmoderne. Und Kelm machte jetzt aus diesem Institut für angewandte Kunst ein Amt für industrielle Formgestaltung. Und auch Rudolf Horn hatte in Moskau Paznitnovs Schrift in die Hand bekommen und er sagte dazu: „Welch ein Glücksfall…“
Aber sehen wir zuvor noch, welche Spuren das Bauhaus mit Herbert Hirche und mit Hans Gugelot in der Möbelmoderne Westdeutschlands hinterlassen hat, und woran sie dort gescheitert ist.
Die kleine Bau- und Möbelschreinerei Bofinger in Stuttgart übernahm 1956 das von dem Architekten Hans Gugelot entwickelte und von ihm an die HfG Ulm mitgebrachte Möbelsystem M 125. Dieser Schreiner wurden mit Designverfahren konfrontiert, die Gugelot Bofinger so erklärte: „Ich denke nur in Systemen und kann Ihnen nur ein Möbelsystem entwickeln.“
Aber während Otl Aicher und Hans Gugelot in ihren Wohnungen in Ulm schon versuchten, Gugelots M 125 als Trennwandsystem zu installieren, kamen Gugelot erste Bedenken: „Der Mensch ist in diesem System zwar eine Konstante, aber seine spezifischen Eigenschaften sind nicht konstant, und das erschwert die Planung“. M 125 blieb adressiert an eine Avantgarde von Nutzern, und Gugelots Möbelsystem konnte sich nicht im Möbelhandel durchsetzen. Aicher kam da zu dem Schluss: „wir begannen zu zweifeln an dem glauben, die bereitstellung offener systeme beinhalte offene anwendung.“
Wenige Jahre später brachte die Holzäpfel KG Herbert Hirches INwand-System auf den Markt, das den sozialen Wohnungsbau in Baden-Württemberg mit Einbauschränken und Einbautrennwänden voranbringen sollte. Anfang der 1960er Jahre jedoch zeigte sich auch hier, dass tradiertes Denken und alte Gewohnheiten die Nutzer nicht von Hirches systemischer Formgebung überzeugen konnte. Das Schrank- und Trennwand-System Hirches hatte dafür im Bürobereich seinen Erfolg – bis dann die Holzäpfel KG Mitte der 1970er Jahre in den Zeiten der Wirtschaftskrise einem Vergleichsverfahren zum Opfer fiel.
Dafür gab es in den 1960er Jahren das Zusammentreffen von Rudolf Horn mit Vertretern der Deutschen Werkstätten aus Hellerau. Horn hatte in Leipzig die Leitung des Büros für Entwicklung, Messen und Werbung in der Möbelindustrie übernommen, und er entwickelte jetzt mit Eberhard Wüstner für Hellerau ein sehr komplexes System von Bauteilen – das MDW-Programm. Dieses erste Vollmontageprogramm für alle Bereiche des Wohnens wurde auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1967 vorgestellt, die Produktion in den VEB Deutsche Werkstätten war vorbereitet und begann im gleichen Jahr. Und während noch an der Deutschen Bauakademie der Weg der Möbel vom An- und Aufbau über den Baukasten zur Montage als die „Widerspiegelung des Verfallsprozesses der bürgerlichen Gesellschaft“ kritisiert wurde, während noch Walter Ulbricht über die Stapel von Brettern schimpfte, betrat der von Rudolf Horn und Eberhard Wüstner ermächtigte Nutzer die Szene und es eröffnete sich mit dem Erfolg des MDW-Programms der Ausblick auf die nächste Etappe der Modernisierung des Wohnens.
Hören wir Horn: „Während MDW lief, habe ich gedacht: Wenn wir sehen, wie die Menschen selbst entscheiden, wie sie sich einrichten wollen, dann müssen wir jetzt weitergehen und sagen: Raus mit den Wänden! Wir haben mit den Kollegen von der Bauakademie, vor allem mit Wilfried Stallknecht den Gedanken des variablen Wohnens diskutiert. Der meinte: „Ihr könnt doch die frei gespannten Decken benutzen. Unsere Vorfahren mussten die Wohnungen in Zimmer gliedern, sonst wären ihnen die Decken auf den Kopf gefallen. Das brauchen wir nicht mehr. Wir haben frei gespannte Decken, sechs Meter, sieben Meterzwanzig. Jetzt schaffen wir die variable, innenwandfreie Wohnung.“
1964 Anbauprogramm – Leipzig IV (VEB Möbelwerke Eisenberg)
Und als im Auftrag der Bauakademie 1970 in Rostock und Berlin Experimentalbauten mit innenwandfreien Wohnungen mit Maßen von sechs x zwölf Metern errichtet wurden, schien es, dass die Zeit für Trennwandsysteme wie das Ausbau- und öblierungsprogramm, das AM 20 gekommen sei. Rudolf Horn: „Teile des Systems waren: Variable, raumhohe Innenwände unterschiedlicher Breite, zwischen Decke und Fußboden verspannt, dazu Dreh- und Falttüren, raumhohe Behältnismöbel verschiedener Tiefe und Breite, die untereinander und mit den Innenwänden kombiniert werden konnten.“
In Gestalt von zwei Musterwohnungen fand das Projekt 1969 die Zustimmung der Staatsführung. Die Architekten und Gestalter erhielten die Mittel, ihre Konzeption mit über 200 Familien aus allen sozialen Schichten in Berlin, Rostock und Dresden in eigens dafür vorgesehenen Bauvorhaben zu erproben. Für Rudolf Horn hieß das: „Unsere Gespräche haben die Leute erst einmal für die Tatsache sensibilisiert, was es bedeutet, zu wohnen. Es kam Bewegung in die Starre der Wohnung.“ Eine Beweglichkeit, die vorstellbar ist über die Wohnung hinaus für die Gesellschaft.
Und das bleibt uns von diesem insistierenden Denken Rudolf Horns: Das Vertrauen, dass das Objekt zum Subjekt – und dass das Subjekt zum Objekt finden kann. Und: Dass sich dafür ein gesellschaftlicher Rahmen bildet, der diesen Subjekt-Objekt-Beziehungen den Raum dafür bietet, dass diese EINE Erde auch bewohnbar bleibt, und dass der Nutzer als Finalist dabei die ihm von Rudolf Horn zugedachte Rolle spielen wird.
Entwurf der 50er Jahre
1966/67 Das MDW-Programm (VEB Deutsche Werkstätten Hellerau)